Damit die Königin der Nacht wieder blüht

Botaniker kennen sie unter ihrem lateinischen Namen, Artepitheton grandiflorus, doch besser bekannt ist uns die nelkenartige Kaktuspflanze als „Königin der Nacht“. Nur einmal im Jahr öffnet sie ihre Blüte – für eine einzige Nacht. Dann versinkt sie wieder in ihrem Schönheitsschlaf. Es ist eine so hübsche wie berührende Analogie, dass ausgerechnet diese flüchtige Schönheit die Karosseriekurven eines Porsche Taycan Artcars schmückt, das im zweiten Corona-Frühling zugunsten Schweizer Kulturschaffender versteigert wurde. Jener Gruppe von Künstlern, Musikern, Theatermachern und Kreativen also, welche die Blüten ihres Schaffens im vergangenen Jahr kaum noch öffentlich entfalten durfte. 

Gestaltet wurde das Artcar vom amerikanischen Künstler Richard Phillips, der für seinen hyperrealistischen Stil weltweite Beachtung findet und dessen Werke in grossen Museen wie dem MoMA in New York und der Tate Modern in London ausgestellt wurden. Doch auch wenn Phillips in einem Atelier in Redhook arbeitet und die Queen of the Night botanisch betrachtet in der Karibik zuhause ist, hat das gleichnamige florale Kunstwerk auf der Karosserie des Porsche Taycan seine Wurzeln doch in der Schweiz. Bei einem Besuch des Restaurants Kronenhalle in Zürich vor einigen Jahren stiess Richard Phillips auf ein Gemälde des Schweizer Landschaftsmalers Adolf Dietrich – und war begeistert: Die emotionalen, zwischen überhöhender Sachlichkeit und stilistischer Naivität changierenden Werke, die Dietrich Anfang des 20. Jahrhunderts geschaffen hatte, korrespondierten mit Phillips’ eigenem Œvre und Kunstbegriff. Ganz im Sinne der Appropriation Art begann Richard Phillips, sich die Dietrichschen Motive anzueignen und diese neu zu produzieren. Ihren Höhepunkt fand die künstlerische Wahlverwandtschaft 2011 in einer viel beachteten Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau, in der sich Originale und Reproduktionen gegenüberstanden. 

Nur einmal im Jahr erblüht die Königin der Nacht.

In das bemerkenswerte Artcar-Projekt involviert war auch der renommierte Kunstkritiker und Autor Gianni Jetzer, Kurator des Hirshhorn Museum and Sculpture Garden in Washington D.C.  Er sieht in dem Porsche Artcar eine Weiterentwicklung des automobilen Sujets in der Kunstgeschichte: „Im Gegensatz zu den italienischen Futuristen vor über einem Jahrhundert, die – fasziniert vom lauten Dröhnen der Benzinmotoren – Bilder von Geschwindigkeit, Rauch und Raserei ins Leben riefen, entwirft Phillips eine noch schnellere, naturalistisch inspirierte Vision einer elektrifizierten Sportmobilität im 21. Jahrhundert, welche die Landschaft, die sie durchfährt, reflektiert, integriert sowie ihr gegenüber nachhaltig ist.“ 

Das einzigartige Taycan Artcar wurde im Dezember 2020 im Pop-up-Restaurant Leuehof an der Zürcher Bahnhofstrasse nach den Vorgaben des Künstlers live foliert und im April 2021 von RM Sotheby’s online versteigert. Das finale Gebot betrug 200.000 US-Dollar und kam aus der Schweiz.

„Mit dem ersten rein elektrischen Sportwagen, dem Porsche Taycan, hat Porsche Unternehmensgeschichte geschrieben. In Zusammenarbeit mit einem renommierten Künstler wollten wir dies festhalten und verewigen“, sagt Michael Glinski, CEO Porsche Schweiz AG. „Das Taycan Artcar hat grosses internationales Interesse geweckt. Ich freue mich neben der Spendensumme besonders über die Aufmerksamkeit, die wir für die wichtige Arbeit von Suisseculture Sociale wecken konnten. Porsche steuert durchaus sicher durch die Krise und möchte der Gesellschaft gerne etwas zurückgeben. Der erzielte Betrag kommt den Menschen in der Schweiz zugute, die im Moment sehr auf Hilfe angewiesen sind.“

Schweizer Künstlern zu neuer Blüte verhelfen.

Alle Partner des Projektes – von Künstler Richard Phillips über RM Sotheby’s bis hin zur Basler Galerie Weiss Falk – verzichteten für den guten Zweck auf eine Provision oder Kommission. Der gesamte Erlös aus der Versteigerung kam dem gemeinnützigen Schweizer Verein Suisseculture Sociale zugute, der damit Kulturschaffende unterstützt, die durch die Pandemie in eine Notlage geraten und durch alle Raster gefallen sind. So bleibt zu hoffen, dass die Queen of the Night auch einigen Schweizer Künstlern zu neuer Blüte verhilft – und uns somit alle nach Monaten des kulturellen Verzichts ein wenig erfreuen und inspirieren kann.