Nur Fliegen ist schöner
Curbs statt Klippen, Motorensound statt Windrauschen: Zum ersten Mal tauscht Jenna Gygi ihren Wingsuit gegen Rennhelm und Porsche – und erlebt eine neue Art von Höhenflug.
Geschwindigkeit ist ihr vertraut. Sie kennt das Gefühl vollkommener Klarheit und Konzentration in jenem Augenblick, in dem es kein Zurück mehr gibt und die Welt für einen Moment den Atem anhält. Sie weiss, wie man dem Wind die Stirn bietet und der Schwerkraft ein Schnippchen schlägt. Kompromissloser Fokus, radikale Hingabe, maximale Kontrolle im Grenzbereich – all das gehört längst zu ihrem Alltag.

Und doch betritt Wingsuit-Pilotin Jenna Gygi an diesem kühlen, grauen Junimorgen in Spielberg Neuland. Im Paddock des Red Bull Rings herrscht geschäftiges Treiben – fast wie bei den Formel-1-Übertragungen, die sie sich regelmässig im Fernsehen anschaut. Nur dass hier alles real ist und die Luft förmlich vor Energie vibriert. Mechaniker beugen sich über geöffnete Motorhauben, Druckluftschrauber kreischen, Triebwerke heulen auf, der scharfe Geruch von Gummi, Benzin und Adrenalin liegt in der Luft. Statt eines Abgrunds wartet ein 4,3 Kilometer langer Rundkurs mit drei langen Geraden, zehn Kurven und 65 Metern Höhenunterschied auf sie. Statt eines freien Falls lockt eine freie Fahrt im Sportwagen.
Und dann regnet es auch noch in Strömen. Die Strecke glänzt nass und unberechenbar. „Bei diesem Wetter würde ich es nicht wagen, aus einem Flugzeug oder von einer Klippe zu springen“, sagt Jenna lachend, während sie sich den Helm überstreift. Doch für den Sprung ins kalte Wasser ist sie bereit.

Präzision bei Regen:
Trotz oder gerade wegen der widrigen Bedingungen sammelt Jenna Gygi wertvolle Erfahrungen für mehr Sicherheit im Alltag.Angst hat die 34-jährige Bernerin vor ihrem ersten Rennstreckenerlebnis keine. Nicht nur, weil sie bei Sprüngen aus bis zu 4.000 Metern Höhe – oft nur wenige Meter an schroffen Felswänden vorbei – deutlich extremere Situationen gewohnt ist. Sondern auch, weil der Kurs „Introduction to Racetrack“ im Rahmen des Porsche Sports Cup Suisse genau dafür gemacht ist: Rundstrecken-Neulinge wie sie sicher, kontrolliert und schrittweise an die Dynamik, Technik und Herausforderungen des Rennfahrens heranzuführen.
Zuerst geht es auf den Handlingkurs, wo sie sich unter anderem mit dem Porsche 911 GT3 vertraut macht. Wie reagiert das Fahrzeug auf spontane Lenkbefehle und Bremsmanöver? Was tun, wenn die Reifen bei Nässe an Grip verlieren? Wie dosiert man Geschwindigkeit, ohne in der Kurve einen Dreher hinzulegen? Jenna spürt die Reaktion des Porsche in jedem Muskel, das Auto wirkt beinahe lebendig. Dann begleitet sie einen Instruktor als Beifahrerin auf ein paar schnellen Runden auf der Rennstrecke. Die Ruhe, mit der er bei hohem Tempo über die Piste gleitet, mit einer Hand schaltet und gleichzeitig per Funkgerät mit den anderen Teilnehmern spricht, beeindruckt sie zutiefst.

Als sie dann selbst auf die Strecke darf, steigt die Anspannung. Die Sicht ist schlecht, die Linie des vorausfahrenden Instruktors kaum zu erkennen. „Vergiss nicht zu atmen“, muss sie sich immer wieder erinnern. „Dann wird es leichter.“ Und tatsächlich wird es auf den nächsten Runden leichter. Je mehr sie sich entspannt, desto mehr Sicherheit und Vertrauen gewinnt sie. In die Maschine und in sich selbst.
Für viele mag es paradox klingen, wenn eine Frau, die sich regelmässig mit nichts als einem hauchdünnen Stoffanzug in die Tiefe stürzt, über Sicherheit spricht. Doch für Jenna ist genau das der Kern ihres Sports. Ein Sprung passiert nicht spontan, jeder Flug wird präzise geplant – mit einer Sicherheitsmarge von mindestens 20 Prozent. Über 7.000 Sprünge hat sie inzwischen absolviert, kein einziger brachte sie in eine kritische Lage. Ihre wichtigste Regel: Springen nur in körperlicher und geistiger Topverfassung und nur mit Material und Menschen, denen sie hundertprozentig vertraut. Wenn der Absprung ansteht, darf es keinen Zweifel geben, kein Zögern, kein „Vielleicht“.
Was Jenna Gygi antreibt, ist erstaunlicherweise nicht der Nervenkitzel. Es ist die totale Präsenz im Hier und Jetzt. Ein Zustand absoluter Wachheit, der sie 2012 nach einem Tandemfallschirmsprung überhaupt erst auf die Idee brachte, alles auf die Karte Fliegen zu setzen. Kurzerhand machte sie ihre Fallschirmsprunglizenz, absolvierte über 200 Sprünge – mit dem Ziel, länger im freien Fall verweilen zu können. Der Wingsuit war die logische Konsequenz.
2013 folgte der erste Solosprung über Kappelen im Berner Seeland, mit Eiger, Mönch und Jungfrau als Kulisse. Danach bildete sie sich in Australien zur Wingsuit-Spezialistin weiter, gewann erste Medaillen bei internationalen Wettkämpfen, errang 2021 sogar einen Weltmeistertitel in Akrobatik und behauptete sich in einem Sport, der noch immer als Männerdomäne gilt. Mittlerweile springt sie wöchentlich – als Instruktorin bei Kursen, für Marken, Filme, TV-Shows und eigene Projekte – und teilt mit ihren 18.000 Followern auf Instagram spektakuläre Flüge durch Schluchten, über Gletscher, entlang scharfer Gratlinien.

Volle Konzentration:
Jenna Gygi kurz vor dem Absprung in den italienischen Dolomiten. Jetzt darf es keinen Zweifel mehr geben.
Im freien Fall:
Wingsuit-Weltmeisterin Jenna Gygi sucht nicht den Adrenalinkick, sondern das Gefühl völliger Präsenz und Kontrolle.
„Mein Körper ist auf Geschwindigkeit mit Feingefühl programmiert.“ Jenna Gygi
Die Bilder zeigen sie oft in leuchtenden Anzügen vor dramatischen Kulissen, mit ausgestreckten Armen im Gleiten, manchmal nur wenige Meter über dem Boden. Das unbeschreibliche Gefühl der Freiheit lässt sich erahnen. Was die Follower aber nicht sehen: wie viel Präzision, Planung und Körpergefühl in jedem dieser Flüge steckt. Für Jenna ist es genau diese absolute Konzentration, die den Reiz ausmacht – im Wingsuit, und nun auch im Porsche.
Denn auch wenn der Rennsport andere Regeln hat, gibt es doch überraschende Parallelen. Wie beim Fliegen geht es nicht um rohe Kraft, sondern um Gefühl. Um präzises Timing. Um perfekte Linien. Fein dosiertes Lenken, sauberes Bremsen, punktgenaue Beschleunigung: Alles erinnert sie an die sensible Steuerung im Wingsuit. Es ist ein Zusammenspiel aus Technik, Vertrauen und Körpergefühl. „Ich glaube, mein Körper ist auf Geschwindigkeit mit Feingefühl programmiert“, sagt sie rückblickend. „Das hat mir geholfen.“

Neue Leidenschaft:
Jenna Gygi hätte nie gedacht, dass sie die Geschwindigkeit im 911 GT3 lieben würde wie das Fliegen.Was sie besonders beeindruckt, ist der Sound. Beim Fliegen herrscht meist Windstille im Helm, das gleichmässige Rauschen der Luft ist oft das einzige Geräusch. Auf der Rennstrecke dagegen tobt ein akustischer Orkan. Der Boxermotor dröhnt, schreit, grollt – und vibriert bis in die Knochen. Das ist für sie neu. Und unerwartet bewegend.
Nach gut 30 Minuten auf der Rennstrecke ist sie erschöpft. „Fix und fertig“, sagt sie lachend. Dass Autofahren körperlich so fordernd sein kann, hätte sie nicht gedacht. „Ich habe riesigen Respekt vor allen, die so etwas bei einem Rennen über Stunden hinweg durchziehen.“ Und doch: Sie ist begeistert. „Das hat gfäget“, sagt sie auf Berndeutsch. Trotz Regen, schlechter Sicht und rutschigem Asphalt – oder gerade deshalb – nimmt sie viel mit. Auch fürs sichere Fahren im Alltag. Was sie aber am meisten überrascht hat? „Wie lebendig ich mich gefühlt habe. Ich hätte nie gedacht, dass ich Geschwindigkeit auf der Strasse genauso lieben könnte wie in der Luft.“ Das Fliegen wird immer ihre grosse Liebe bleiben. Doch dann, mit einem leisen, fast schon verschwörerischen Lächeln: „Aber in die Sportwagen von Porsche, besonders in den 911, habe ich mich schon ein bisschen verliebt.“

Jenna Gygi
Jenna Gygi gehört zur Weltspitze im Wingsuit-Fliegen – einer der anspruchsvollsten Disziplinen im Fallschirmsport. Die 1990 geborene Bernerin entdeckte ihre Leidenschaft 2012 bei einem Tandemsprung und stellte ihr Leben daraufhin auf den Kopf: Sie kündigte ihren Job als Kommunikationsplanerin und bildete sich zur Spezialistin und Instruktorin für Wingsuit-Akrobatik weiter. Gemeinsam mit zwei Freunden bildete sie das Team FlyLikeBrick. 2021 krönte sich das Trio bei der FAI-Weltmeisterschaft in Tanay, Russland, mit dem Weltmeistertitel in der Disziplin Akrobatik. Nicht zuletzt ist Gygi eine gefragte Show- und Stuntpilotin. Sie tritt in TV-Formaten auf, arbeitet an Filmproduktionen mit und setzt sich als Botschafterin von Air-Glaciers für Sicherheit und Professionalität im Extremsport ein.
Verbrauchsangaben
911 GT3
Cayenne GTS
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12,7 – 12,2 l/100 km
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289 – 277 g/km
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G Klasse
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G Klasse