Am Ursprung der Sonne

Der britische Fotograf und Autor Mark Riccioni ist tief in der japanischen Autokultur verwurzelt. Bei seinem jüngsten Besuch traf er südwestlich von Tokio auf eine ganz besondere Gruppe von Porsche-Enthusiasten: die Early Morning Hakone Runners. Sie fahren regelmäßig frühmorgens in die Bergregion Hakone und genießen mit ihren Sportwagen menschenleere Serpentinen – vor spektakulärer Kulisse. Im Christophorus erzählt Riccioni von diesem Erlebnis.

   

Tokio ist bekannt als Stadt, die niemals schläft. Doch frühmorgens um Viertel vor drei scheint selbst Japans Hauptstadt ein Nickerchen zu machen. Die beinahe gespenstisch stillen Straßen sind noch in künstliches Licht getaucht. Die meisten Menschen, die jetzt draußen sind, fahren Taxi oder arbeiten auf einer Nachtbaustelle. Ich hingegen mache mich auf den Weg nach Hiratsuka, rund eine Stunde südlich der Hauptstadt. Dort treffe ich eine kleine Gruppe von Porsche-Enthusiasten, deren Ziel genau diese frühmorgendliche Stille ist.

Als ich um 3.45 Uhr noch etwas verschlafen auf den Parkplatz rolle, sind sie bereits aus der Ferne zu sehen: Elf bunte Sportwagen und ihre Besitzer sind kurz davor, auf ihre ganz eigene Weise in den Tag zu starten. Denn die Early Morning Hakone Runners pflegen ein besonderes Hobby. Regelmäßig erkunden sie zum Sonnenaufgang die Region, die einige der traumhaftesten Routen des Landes zu bieten hat: Hakone in der Präfektur Kanagawa, deren spektakuläre Kulisse sich in Kürze vor uns am Fuße des Fuji erheben wird. Die Region blickt auf eine lange spirituelle Tradition zurück. Der Ashi-See mit dem berühmten roten Torii – dem traditionellen, japanischen Tor am Seeufer – ist seit mehr als tausend Jahren ein heiliger Ort der Shintō-Religion. Doch heutzutage ist die Region auch noch für etwas anderes beliebt: ihre kurvigen und abwechslungsreichen Straßen, die das Herz eines jeden Fahrers höherschlagen lassen.

Startschuss in der Nacht:

Startschuss in der Nacht:

Um 3.45 Uhr treffen sich die Early Morning Hakone Runners auf einem Parkplatz in Hiratsuka südwestlich von Tokio.

Faszination Japan

Die Geschichte, die ich hier erzählen möchte, beginnt jedoch nicht erst heute Nacht. Bereits 2021 bekam ich diese Porsche-Gruppe zum ersten Mal zu Gesicht – und war sofort elektrisiert. Durch ein bisschen Glück, ein paar Nachrichten auf Social Media und einen gemeinsamen Freund treffe ich die Hakone Runners heute zum ersten Mal persönlich. Ausgestattet mit meinem Foto-Equipment schließe ich mich dem Konvoi voller Vorfreude an – wenn auch nur in einem gemieteten Kei-Car mit 600 Kubikzentimetern Hubraum, einem japanischen Kleinstfahrzeug.

Schon bevor ich zum ersten Mal eine Kamera in der Hand hielt oder in ein Flugzeug stieg, um nach Japan zu reisen, war ich fasziniert von dem pazifischen Inselstaat. Rennspiele wie Gran Turismo und Need for Speed weckten Mitte der 1990er-Jahre meine Leidenschaft für die japanische Autokultur. Als ich älter wurde, entwickelte sich daraus eine regelrechte Obsession. Im Japanischen bezeichnet der Begriff Otaku einen jungen Menschen, der von einer Facette der Popkultur so besessen ist, dass er sich ihr mit voller Hingabe widmet. Eine Bezeichnung, mit der ich mich nach all meinen Besuchen in Japan identifizieren kann – und die selbst dem verrücktesten Autofan das Gefühl gibt, zumindest ein bisschen normal zu sein.

Kolossale Kulisse:

Kolossale Kulisse:

Während der Fahrt erhebt sich in weiter Ferne der Fuji und gibt die Richtung vor. Im Hakone-Gebiet warten dann einzigartige Aussichten und kurvenreiche, kaum befahrene Straßen.

Und von diesen Fans gibt es in Japan nicht wenige. Mit neun Millionen hergestellten Fahrzeugen pro Jahr ist das Land nicht nur der drittgrößte Automobilproduzent der Welt – seine Wirtschaft ist auch absolut abhängig davon. Die Branche deckt mit rund 5,5 Millionen Beschäftigten fast 90 Prozent der gesamten japanischen Fertigungsindustrie ab – nicht eingerechnet die zahllosen Spezialwerkstätten, Auto-Tuner und Rennteams, die es in Japan gibt. Angesichts dieser allgemeinen Wertschätzung für motorisierte Fahrzeuge ist es kein Wunder, dass man in Japan auf einige der leidenschaftlichsten Porsche-Enthusiasten der Welt trifft. Menschen wie Mauana Ishida, stolzer Besitzer eines Porsche 911 (930) Turbo mit dem Spitznamen „72 Outlaw“ – und der eigentliche Grund, warum ich an diesem Samstag um 3.45 Uhr auf dem Parkplatz Hiratsuka PA stehe.

Eine schicksalhafte Begegnung

Den 911 Turbo von Ishida sah ich 2021 zum ersten Mal. Damals befand sich Japan noch im Corona-Lockdown und für die Einreise benötigte man ein Visum – das ich durch einen Job auf dem Fuji Speedway bekam. Als ich eines Morgens kurz vor dem Sonnenaufgang durch das Hakone-Gebiet fuhr, rechnete ich damit, weit und breit der Einzige zu sein – bis Ishida in seinem markanten hellgelben Turbo an mir vorbeizog. Dahinter ein ganzer Korso anderer Porsche-Modelle: Elfer der Generationen 964 und 991, die 718-Modelle Spyder und Boxster und sogar ein 911 SC (G-Serie). Bevor ich anhalten und zur Kamera greifen konnte, war die Gruppe schon wieder verschwunden. Nur ein paar Monate später sorgte ein Zufall dafür, dass ich Ishidas Turbo erneut zu Gesicht bekam – diesmal auf dem Instagram-Kanal eines Freundes auf einem Foto einer Veranstaltung in Yokohama. Doch für mich war es mehr Fügung als Zufall. Wie hoch stehen die Chancen, mitten in der Nacht im einsamen Hakone-Gebiet diesem Traumauto zu begegnen und es dann über einen gemeinsamen Freund wiederzuentdecken?

Ich fasste einen Entschluss: Sollte ich die Möglichkeit haben, über meinen Freund Kontakt herzustellen, muss ich die Gruppe und ihre Fahrzeuge persönlich treffen. Und ich hatte Glück! Schnell vernetzte mich mein Freund mit Ishida. Und so stehe ich heute in dieser spektakulären Natur von Hakone, umgeben von faszinierenden Fahrzeugen und Menschen, die mich mit einer unglaublichen Herzlichkeit in ihren Kreis aufnehmen. Die Gruppe von Ishida besteht aus Menschen mit meist zeitintensiven und verantwortungsvollen Berufen, viele von ihnen sind Eltern. Für sie alle ist Freizeit ein knappes Gut. Frühmorgendliche Touren sind für die Porsche-Liebhaber daher ideal. Was als Idee während der Corona-Zeit begann, hat sich inzwischen zu einer kollektiven Sommertradition entwickelt. „Wenn du älter wirst, ist es wegen der alltäglichen Pflichten schwierig, regelmäßig etwas mit Freunden zu unternehmen“, sagt Ishida. „Doch wenn man mitten in der Nacht aufsteht, in einen herrlichen Sonnenaufgang hineinfährt und morgens schon wieder zu Hause ist, haben viel mehr Leute die Chance, dabei zu sein.“ Als Vater von zwei kleinen Kindern, der für Autos brennt, aber kaum Zeit zum Fahren hat, finde ich dieses Konzept mehr als bestechend.

Check-in im Morgengrauen:

Check-in im Morgengrauen:

Kurz hinter der Hakone-Turnpike-Mautstation beginnt für die Gruppe das Erlebnis. Die Ausfahrt unternehmen sie regelmäßig, um dem stressigen Alltag zu entfliehen – und für einige Momente das Gefühl grenzenloser Freiheit zu genießen.

Unterwegs auf Japans Nürburgring

Was macht die Region Hakone so besonders? Abgesehen von der spirituellen Tradition bietet diese Landschaft nicht nur atemberaubende Ausblicke, sondern auch einige der schönsten kurvenreichen Straßen der Welt. Und wir sprechen hier nicht von eintönigen Serpentinen: Auf jeder Route, die sich durch das Gebirge schlängelt, wechseln sich Steigungen mit Gefällen und weite Kurven mit engen Kehren ab. Innerhalb weniger Kilometer kann man in kurzer Zeit gleich mehrere anspruchsvolle Strecken erobern: von dem berüchtigten Hakone Turnpike – häufig als „Japans Nürburgring“ bezeichnet – bis zur kurvenreichen Hakone-Nanamagari-Route, die durch die japanische Manga-Reihe Initial D Berühmtheit erlangte. Die Wurzeln von Hakone mögen spirituell sein – heute zieht der Ort Menschen aus der ganzen Welt an, die mit ihrem Fahrzeug einzigartige Routen genießen wollen.

„Für uns Autofans in Japan ist Hakone so etwas wie das Paradies“, schwärmt Ishida. „In Europa gibt es die Alpen mit den unzähligen Passstraßen und in den USA Orte wie den Angeles Crest Highway. Alles Traumrouten, aber meine Heimat ist nun einmal Japan.“ Viele Fahranfänger würden nach bestandener Prüfung nach Hakone kommen, um etwas zu erleben. „Ich selbst bin hier vor fast 35 Jahren zum ersten Mal gefahren. Solche frühen Erinnerungen begleiten dich das ganze Leben.“

Ishidas Liebe zum Autofahren wird von seiner Leidenschaft für Porsche noch übertroffen. In den vergangenen 35 Jahren besaß er immer mindestens ein Modell aus Stuttgart-Zuffenhausen – seit 27 Jahren nennt er einen 911 sein Eigen. Diese Leidenschaft brachte Ishida bereits im Jahr 2007 dazu, sein eigenes Porsche-Event ins Leben zu rufen: die Exciting Porsche Show. Natürlich sind alle Early Morning Hakone Runners mit von der Partie, wenn das Porsche-Treffen am 30. März 2025 Station im japanischen Kobe macht. „Durch Exciting Porsche hat sich unsere Freundschaft verstärkt“, sagt Ishida. „Anfangs war da die gemeinsame Leidenschaft fürs Fahren, aber jetzt treffen wir uns auch regelmäßig abseits des Events.“

Leidenschaft verbindet:

Leidenschaft verbindet:

Mauana Ishida mit seinem 911 Turbo (oben), Tatsuya Shioda in seinem 718 Spyder (unten) und Yasuyo Terakawa mit ihrem Boxster GTS (ganz unten) sind durch die Ausfahrten zu Freunden geworden.

Als wir um 5.00 Uhr über den berüchtigten Hakone Turnpike fahren, bildet der Fuji eine atemberaubende Kulisse für die aufgehende Sonne. Ein magischer Anblick. Und eine besondere Bedeutung. In der Landessprache heißt Japan Nihon oder Nippon – „Ursprung der Sonne“. Oft auch als Land der aufgehenden Sonne bezeichnet, fühle ich mich hier diesem Ursprung ganz nah, während wir unterhalb des schneelosen Gipfels mit unserem Konvoi aus elf Porsche-Modellen die Szenerie genießen. Abwechselnd setzen sich die Fahrer mit obligatorischen Überholmanövern an die Spitze. Es gibt quasi keinen Verkehr, keine Fußgänger, keine Ablenkungen. Alle genießen das Gefühl von grenzenloser Freiheit, das kein Alter kennt.

Maximal erholt:

Maximal erholt:

Ryo Suda vor seinem grünen 911 SC 3.0 (G-Serie).

Niemand versteht das besser als Ryo Suda. Sein Porsche 911 SC 3.0 (G-Serie) gehört zu den Fahrzeugen im Pulk, die vor Kraft nur so strotzen. Es wirkt, als wäre es für diese Straßen gemacht – leicht, agil und perfekt proportioniert, um jede Kurve zu meistern. Suda besitzt dieses Modell erst seit 2021. Der Kauf markiert seine Rückkehr zur Marke. „Nachdem ich mich von meinem 911 T (Ur-Elfer) und danach von meinem Carrera 3.2 (G-Serie) getrennt hatte, fühlte ich mich nach einer Weile immer lethargischer und hatte keinen Spaß mehr am Fahren“, erzählt er. „Als ich überlegte, was mich früher glücklich gemacht hat, erinnerte ich mich an dieses Gefühl, einen luftgekühlten Porsche zu fahren.“ Also kehrte er zurück. Zur Marke seines Herzens.

Seitdem er Porsche erstmals im Motorsport gesehen hat, kennt Sudas Begeisterung keine Grenzen. „Mit einem eigenen Modell kommst du dem Rennfahrertraum ein bisschen näher“, bekräftigt er. 

Das Schönste an Hakone sei, wie sich die Landschaft und Szenerie je nach Jahreszeit verändere. „Die Atmosphäre ist immer anders und wenn wir unterwegs sind, macht die Mischung von Fahrzeugen das Ganze noch aufregender.“

Das Gefühl von grenzenloser Freiheit

Während der Fahrt frage ich mich, welches Modell ich jetzt gerne fahren würde. Um die Strecke von Tokio aus über die Autobahn bequem zurückzulegen, wäre der 911 Carrera (991) von Satoshi Higashi die perfekte Wahl. Auf dem kurvenreichen Hakone Turnpike wirkt Aoi Kodamas 911 (964) – mit Cup-Reifen, Sportfahrwerk und anderen Upgrades – wie gemacht für diese Route. Doch als die Sonne Hakone in warmes Licht taucht, zieht plötzlich ein karminroter 718 Boxster GTS an mir vorbei und erregt meine Aufmerksamkeit.

Am Steuer sitzt Yasuyo Terakawa. Anders als Mauana Ishida und Ryo Suda ist sie erst seit Kurzem Porsche-Besitzerin – und bereits Feuer und Flamme. „In Tokio sah ich häufig verschiedene Porsche-Generationen und habe mich gefragt, warum dort so viele Menschen Fahrzeuge dieser Marke fahren“, erzählt Terakawa. „Um die Antwort zu erfahren, legte ich mir selbst einen Boxster zu. Die Kombination von Funktionalität und Spaß hat meine Einstellung zum Autofahren für immer verändert.“

Zieleinfahrt:

Zieleinfahrt:

Sobald andere Motorengeräusche zu vernehmen sind, ist das für die Early Morning Hakone Runners das Zeichen, nach Tokio zurückzukehren. Nach einer letzten gemeinsamen Pause fahren sie wieder Richtung Alltag.

Seitdem lässt Terakawa keine Gelegenheit aus, mit offenem Verdeck das Gefühl von grenzenloser Freiheit zu genießen. Und auf Ishidas Exciting Porsche Show lernte sie schnell viele Gleichgesinnte kennen. „Ein Porsche kann jede Situation meistern – seien es Stadtfahrten, Bergpässe oder lange Strecken“, erklärt sie. „Im Winter ist es in Hakone sehr kalt und verschneit, viele Straßen sind gesperrt. Das bedeutet aber nicht, dass mein GTS in der Garage bleibt. Den Boxster zu fahren und dem Klang des Sportauspuffs zu lauschen, ist einfach ein tolles Gefühl – dafür gibt es auch zu dieser Jahreszeit in und um Tokio die passenden Routen.“

Es ist fast 8.00 Uhr morgens, die Sonne steht jetzt weit oben am Himmel. In der Ferne hört man den Klang anderer Fahrer, die für eine Spritztour nach Hakone gekommen sind – für uns das Signal, zusammenzupacken und zurück nach Tokio zu fahren. Für Ishida und seine Freunde war es der perfekte Start ins Wochenende. Der Grund, warum sie Porsche und das Autofahren so sehr lieben. Und die Chance, den Stress und die Verantwortung einer langen Arbeitswoche für ein paar Stunden hinter sich zu lassen. „Für mich ist es kein Zufall, dass hier alle, die Porsche lieben, auch gerne in Hakone fahren“, sagt Ishida und lacht. „Uns geht es nicht nur darum, einen Sportwagen zu besitzen. Was uns begeistert, ist die Leidenschaft fürs Fahren und die Liebe zur Marke. Egal, wie hektisch die Welt um uns herum wird, dafür werden wir uns immer Zeit nehmen.“ 

Mark Riccioni
Mark Riccioni
Ähnliche Artikel

Verbrauchsangaben

Taycan 4 Cross Turismo (2024)

WLTP*
  • 22,0 – 18,7 kWh/100 km
  • 0 g/km
  • A Klasse

Taycan 4 Cross Turismo (2024)

Kraftstoffverbrauch* / Emissionen*
Stromverbrauch* kombiniert (WLTP) 22,0 – 18,7 kWh/100 km
CO₂-Emissionen* kombiniert (WLTP) 0 g/km
CO₂-Klasse A
Effizienzklasse: A