Lap Time: 72 Stunden Einsamkeit

Richard von Frankenberg, Gründer und langjähriger Chefredakteur des Christophorus, berichtet in dessen erster Ausgabe über seinen 1951 erzielten absoluten Automobilrekord im 356 SL.

   

Waghalsiger Rennfahrer, rasender Reporter und innovativer Publizist. Richard von Frankenberg, 1922 in Darmstadt geboren, liebte Porsche und lebte für die Geschwindigkeit. 1952 verschmilzt er seine Kunst und sein Können im Christophorus. In dessen erster Ausgabe berichtet der Gründer und langjährige Chefredakteur des Magazins von seinem 1951 erzielten Automobil-Weltrekord mit einem Porsche 356 SL in der 1,5-Liter-Klasse – dem ersten für Porsche und für Deutschland nach Kriegsende. Die Fakten beeindrucken: 152,34 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit über eine Distanz von 10.987 Kilometern, zurückgelegt in 72 Stunden, einschließlich aller Boxenstopps.

Doch sie allein sind es nicht, mit denen von Frankenberg seine Leser fasziniert. Schonungslos nimmt er sie mit ins Cockpit des Weltrekordwagens. Jede Bodenwelle des damals berühmten Autodroms von Linas-Montlhéry bei Paris fährt ihnen förmlich in die Wirbelsäule. 2,54 Kilometer misst eine Runde. Der ovalförmige Parcours besteht aus zwei Geraden und zwei Steilkurven mit konkavem Profil, die weit über 200 km/h zulassen. Den Magendruck in diesen mächtig überhöhten Passagen vergleicht der Autor mit dem Abfangen eines Sturzflugs. Zur erfolgreich vermittelten Übelkeit kommt Schwindel: „Wenn man in die Steilkurve hineinfährt, kommt sie einem vor wie eine Mauer. Ist man einmal in ihr, glaubt man auf normaler Straße zu fahren. Bis zu dem Moment, wo die Steilkurve wieder in die Gerade übergeht. Da weiß man einen Augenblick lang nicht mehr, was nach oben und was nach unten gehört.“ Wie verschwimmende Dioramen lässt er seine Eindrücke vorbeirauschen. Wir leiden mit, wenn er um Konzentration ringt, um durchgeschüttelt im Temporausch noch Schilder entziffern und Menschen wahrnehmen zu können. Erfahren, wie sich die unscharfen Konturen einer Gestalt über die Runden zur Erkenntnis verdichten, dass dort ein Spion im Gras sitzt und seine Stoppuhren hinter einer Zeitung verbirgt. 

Bei Nacht schließlich „ist der Rekordfahrer der einsamste Mensch auf der Welt“. Wir kneifen die Augen zusammen, wenn von Frankenberg durch die Finsternis jagt, angewiesen auf kurze Scheinwerferkegel. Orientierungspunkte bieten jetzt nur noch der kleine Lichtkasten des Zeitnehmerhäuschens und die Box. Alle 57 Sekunden blitzen sie auf – zwei Stunden lang. Das ist die Dauer, die jeder Fahrer pro Einsatz zu bewältigen hat. Erschöpft teilen wir von Frankenbergs Erleichterung, als die Box ihm endlich das Signal zum Fahrerwechsel gibt.

Dann wird es knapp: Während Hermann Ramelow fährt, reißt nach rund 7.000 Kilometern gleich zweimal kurz hintereinander der Keilriemen, der das Lüfterrad antreibt. Der dritte Riemen muss halten, einen weiteren Austausch verbietet das strenge Reglement. Nach drei Tagen und drei langen Nächten ist die bisherige Weltrekordmarke von 145,5 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit dann deutlich übertroffen. Einatmen. Ausatmen.

02.10.1951

Weltrekord, Autodrome de Linas-Montlhéry, Frankreich 
Richard von Frankenberg / Walter Glöckler / Fritz Huschke von Hanstein / Petermax Müller / Hermann Ramelow
2,54 Kilometer Streckenlänge
Porsche 356 SL

Heike Hientzsch
Heike Hientzsch

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