Weitblick

In seinen frühen Jahren war Martin Wezowski Bassist einer Punkrockband. Heute zählt ihn eine renommierte Wirtschaftszeitung zu den „100 klügsten Köpfen Deutschlands“. Als Cheffuturist hat er beim Softwarekonzern SAP die Aufgabe, weit vorauszuschauen.

   

Wandel zu denken, zu erwarten und zu lenken, ist sein Beruf. Mit der Vergangenheit hält sich Martin Wezowski normalerweise nicht auf. Als die Pandemie seine intensive Reisetätigkeit unterbrach, gestattete er sich eine Ausnahme und holte seine geliebte, aber verstaubte Bassgitarre aus dem Keller der Berliner Wohnung. Ein „paar Akkorde“ habe er noch hinbekommen. Das Echo seiner ersten, seiner Musikerkarriere. 

Der 49-Jährige spielte in jungen Jahren unter anderem in der Punkrockband Majestic. Dies sei „die beste Ausbildung“ für seinen heutigen Job gewesen, sagt er, „einfach anfangen, experimentieren, ohne festes Ziel.“ Permanente Veränderung sei für ihn das lärmende Wesen des Punkrock. „Auch in meiner jetzigen Funktion geht es darum, ständig den Status quo infrage zu stellen und die Manager in unserer Industrie zu nerven.“

Als Chefdesigner und -futurist für das Strategiebüro in den Bereichen Technologie und Operations kümmert er sich beim Softwaregiganten SAP um kommende Trends und überlegt sich Strategien für den Konzern. Sein Team arbeitet direkt für den SAP-Vorstand für Technologie und Innovation.

Dabei hat sich Wezowski auf positive Visionen spezialisiert. Düstere Prophezeiungen überlässt der bekennende Science-Fiction-Fan lieber anderen wie den „Masters of Disaster aus Hollywood“. Die hätten „die schlimmsten Szenarien, die man sich vorstellen kann, bereits so perfekt durchgespielt, dass sie wahr zu sein scheinen“. Der gebürtige Pole entwirft hingegen Zukunftsversionen, „die wir uns wünschen. Mit Technologien, mit denen wir leben wollen, weil sie uns nützen.“ 

Die Zukunft sei immer überraschend, das zeige auch die Corona-Krise, und der Wandel konstant. „Speziell heutzutage, weil es nicht mehr Generationen dauert, bis sich radikale Veränderungen auswirken. Früher konnten wir die Zukunft an unsere Kinder und Enkel auslagern. Das geht heute nicht mehr, denn sie kommt uns immer schneller entgegen.“

Der Mann, der mit seinen langen grauen Haaren wie ein Rockstar wirkt, ist dabei selbst so etwas wie der personifizierte Wandel. Als 14-Jähriger floh er, dem kühnen Plan seiner Eltern folgend, vor Repressalien im kommunistischen Polen nach Schweden. Das Land war für die Familie damals das nächstgelegene demokratisch regierte Land. Dass er anfangs kein Wort Schwedisch sprach, hielt Wezowski nicht von ehrgeizigen Plänen ab. Er wollte ursprünglich Architekt werden, entschied sich dann aber fürs Ingenieursstudium. Rasch stellte er fest, dass ihn das in kreativer Hinsicht nicht auslastete und begann, sein Talent in der Musik auszuleben. Als dann eine Homepage für die Band, T-Shirts und das erste CD-Cover gefragt waren, nahm er das gern in die Hand. „Das waren meine Anfänge als Designer“, sagt er. Bald sattelte er erneut um: „Als mir klar wurde, dass das Entwerfen von Gegenständen nicht so spannend ist wie das Entwerfen von Zukunftsstrategien.“ 

Als Senior Designer für UX (User Experience) bei Sony Ericsson konnte Wezowski alle Fähigkeiten, die er sich bis dahin angeeignet hatte, vereinen. Von Musik über Design, allen möglichen Techniken der Neuen Medien bis hin zur Fotografie und vielem mehr. Er war in der Lage, die Sichtweise der Nutzer zu übernehmen und Innovationen aus deren Perspektive zu beurteilen. „Was haben die Menschen davon?“, lautet seine elementare Frage – und genau diese ist für den professionellen Visionär bis heute die einzig wirklich wichtige. 

Aus diesem Blickwinkel entwirft er für SAP und deren weltweite Kundschaft einen Gedankenkosmos für eine menschlichere Arbeitswelt. „Wir haben damit einen neuen Markt erschlossen“, sagt er. 

Für Wezowski ist es essenziell, moderne Technologien mit menschlichen Aspekten zu verknüpfen. Zu erfahren, was Menschen bei ihrer Arbeit erleben und wie sich das für sie anfühlt. Das sei wichtiger, als nüchterne Fakten zu ermitteln: „Fast fünfzig Jahre lang drehte sich unser Geschäftsmodell vor allem um Transaktionen, Operationen und Funktionen“, erklärt er. „Die technischen Daten, die daraus resultieren, sind enorm. Wo aber sind die Erfahrungsdaten? Für mich entsteht die Magie, wenn man beides miteinander kombiniert.“

Bevor er 2013 zu SAP ging, zog er für zwei Jahre nach Shenzhen in China, um UX-Strategien für einen Technikriesen zu entwerfen, der sich anschickte, den Weltmarkt zu erobern. Wezowski schlug dem Unternehmen vor, eigene Systeme für seine Smartphones und elektronischen Geräte zu entwickeln. Ein klarer Plan, allerdings ohne die nötige positive Resonanz. „Die Priorität lag auf den Zahlen des nächsten Quartals und nicht auf einer nachhaltigen Strategie.“ 

Wezowski aber denkt nicht in Dreimonatsetappen. Und er hält nichts von Prognosen, die nur die bekannten Zahlen, Daten und Fakten hochrechnen. Diese Haltung sei „für das Tagesgeschäft sehr nützlich, aber für langfristige Visionen völlig untauglich“, sagt er. „Die Zukunft kann nicht nur auf dem aufbauen, was wir kennen.“ Er spricht lieber vom „dritten Horizont der Vorstellungskraft“ und meint damit, man müsse zuerst eine ideale Zukunftswelt entwerfen und dann versuchen, diese Vision mit dem gegenwärtigen Ausgangspunkt zu verbinden. 

„Der dritte Horizont basiert auf Szenarien, die wir uns wünschen.“ Martin Wezowski

„Der dritte Horizont basiert auf Szenarien, die wir uns wünschen“, führt er aus. „Vielleicht gibt es dafür noch keine Technologie, aber wir stellen uns vor, dass es sie geben wird. Vielleicht fragt der Markt noch nicht danach, aber wir sind sicher, dass er positiv reagiert, wenn wir das Angebot liefern.“ Vorreiter sein, die Zukunft aktiv gestalten, das ist sein Credo. Sein Team, aber auch SAP-Kunden erschreckt Martin Wezowski gern mit der Frage: „Warum seid ihr in zehn Jahren noch relevant?“ Wer darauf keine Antwort wisse, sei genau das dann vermutlich nicht mehr. 

Bei SAP sitzt er als Cheffuturist gleichsam in der Schaltzentrale, wenn es um die Gestaltung künftiger Arbeitswelten geht.

Seine große Vision ist es, dem Begriff der Arbeit eine neue, zutiefst menschliche Definition zu geben. Wir Menschen seien „nach Tausenden von Jahren immer noch als Jäger und Sammler unterwegs – und deshalb mit dem Ausfüllen von Exceltabellen beschäftigt“, sagt er scherzhaft. „Die meisten von uns könnten Genies wie Leonardo da Vinci, Albert Einstein, Marie Curie oder Ada Lovelace sein, aber wir hatten noch nicht die Zeit dazu, weil wir damit beschäftigt waren, so etwas wie Logistik, Lieferketten und Fertigung zu organisieren.“ Also Arbeiten, die besser von Maschinen erledigt werden. 

Wezowskis großes Ziel ist deshalb das „Augmented Me“. Ein durch intelligente Software erweitertes Individuum. Er nennt das „Humachine“ (abgeleitet von human machine) – eine Mischung aus maschineller Intelligenz und menschlicher Kreativität. Der Autopilot im Flugzeug sei eine Vorstufe davon. „Er hilft den Piloten, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.“ 

„Wie wäre es“, fragt der Vordenker, „wenn es eine Maschine gäbe, die mich kennenlernen würde, während sie mich durchs Leben begleitet?“ Sie könnte bei den großen und kleinen Fragen des Lebens hilfreich zur Seite stehen, zum Beispiel von der dritten Tasse Kaffee abraten. Sie könnte erkennen, wenn unsere Ansichten von Vorurteilen bestimmt werden und uns darauf hinweisen. Oder empfehlen, wichtige strategische Entscheidungen grundsätzlich morgens zu treffen, weil wir abends vielleicht zu gestresst sind. „Das ist emotionale Intelligenz“, sagt Wezowski.

In diesem Sinn verspricht er sich eine Menge von der strategischen Partnerschaft, die Porsche und SAP im Oktober 2019 geschlossen haben. Solche Allianzen zwischen führenden Unternehmen seien per se wichtig: „Man braucht Partner, die einem zeigen, was man selbst nicht weiß oder woran man selbst nicht gedacht hat.“ Daraus entstünden die neuen Realitäten, jene, die „manchmal wirklich unbequeme, aber manchmal auch sehr nützliche Wahrheiten“ enthüllen würden. 

Porsche und SAP wollen von der Expertise des jeweils anderen profitieren. Man plant, gemeinsam neue Lösungen und Produkte im IT-Bereich zu entwickeln, die später nicht nur von Porsche, sondern als Standard von anderen Unternehmen der Automobilindustrie eingesetzt werden können. 

Für Martin Wezowski ist Porsche schon lange eine Orientierungsgröße. Das liegt vor allem an seiner zweiten Karriere als Designer. „Für mich ist ein Porsche immer etwas Besonderes. Nicht nur ein sehr attraktives Objekt, sondern ein Kunstwerk“, schwärmt er. „Porsche hat mit dem Taycan definitiv einen mutigen Schritt in Richtung Elektromobilität getan. Es wird spannend sein zu beobachten, wohin diese Entwicklung Porsche und die Sportwagenindustrie noch führen wird.“ Wezowski hätte da möglicherweise einige Ideen, wohin die Reise geht. Doch an dieser Stelle schweigt der Cheffuturist, genießt die Gegenwart und in ihr die Ästhetik des ersten vollelektrischen Porsche. 

Thomas Ammann
Thomas Ammann
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Verbrauchsangaben

Macan 4 Electric

WLTP*
  • 21,1 – 17,9 kWh/100 km
  • 0 g/km
  • A Klasse

Macan 4 Electric

Kraftstoffverbrauch* / Emissionen*
Stromverbrauch* kombiniert (WLTP) 21,1 – 17,9 kWh/100 km
CO₂-Emissionen* kombiniert (WLTP) 0 g/km
CO₂-Klasse A
Effizienzklasse: A