Zurückgespult

Er ist nicht nur ein Rennwagen, sondern war auch eines der Kameraautos für den Film The Speed Merchants: Jahrzehntelang verschollen, aufgespürt und durch eine Restaurierung vor dem Schrottplatz bewahrt. Die wechselvolle Geschichte eines Porsche 911 ST 2.5.

Die tiefe Stimme des Rennfahrers Vic Elford liegt über den Bildern eines Clips, der bei YouTube zu den Quotenhits zählt. Der Betrachter fliegt mit dem Briten in halsbrecherischer Geschwindigkeit über ein Teilstück der legendären Targa Florio. Die Kamera fegt nur zentimeterhoch über die Straße. Es ist Sommer 1972, Topstars des Motorsports trainieren für das Sportwagenrennen im Madonie-Gebirge Siziliens. Elford hat dort bereits 1968 mit einem Porsche 907 gewonnen. Der ehemalige Rallyefahrer und Monte-Carlo-Sieger kennt fast jeden Baum und jede Bodenwelle. Die Bilder, die der Brite aus dem Off kommentiert, hat eine 16-Millimeter-Arriflex-Kamera eingefangen. Montiert auf der Fronthaube eines gelben Porsche 911 S. Der Kameramann am Steuer ist Michael Keyser, der zuvor mehrere Jahre als Privatfahrer mit diversen Porsche 911 auf US-Rennstrecken unterwegs war.

Als der damals 24-jährige Keyser im Dezember 1971 seinen im Aufbau befindlichen GT-Rennwagen in Zuffenhausen inspiziert, trifft er dort auf den gleichaltrigen Jürgen Barth. Der Sohn des Rennfahrers Edgar Barth ist in der Porsche-Presseabteilung tätig und steht am Anfang seiner Fahrerkarriere, die 1977 in einem Le-Mans-Gesamtsieg gipfeln wird. Keyser überredet Barth, bei seinem Europa-Abenteuer als zweiter Fahrer und Kameramann einzusteigen. Denn dem Amerikaner, später bekannt geworden durch das Buch A French Kiss with Death über die Hinter- und Abgründe des Films Le Mans von Steve McQueen, schwebt ein besonderes Projekt vor. Eine Dokumentation über die Markenweltmeisterschaft von 1972. Den Titel hat er schon: The Speed Merchants.

Das mit einem großen Team an und mit dem 911 auf den Pisten gedrehte Material soll dem Film seine Dramatik verleihen – mit Szenen von der Targa Florio als rasante Höhepunkte. „Ungefähr nach der Hälfte der Strecke überholte mich Rolf Stommelen“, erinnert sich Keyser. „Sehr zu meiner Freude zog er nicht sofort davon, sondern fuhr vor unserem Porsche her, um uns gute Aufnahmen zu ermöglichen. Dann winkte er kurz, trat aufs Gas und war wenige Kurven später außer Sichtweite.“ Leider stellt sich Monate später bei der Sichtung des Materials heraus, dass viele Szenen unbrauchbar sind. „Kurz nach Stommelens Reißaus fand ein großer Käfer den Tod auf der Linse, die sich daraufhin tiefrot färbte“, erzählt Keyser.

Spektakulärer Transport

Der 911 ST 2.5 mit der Chassisnummer 230 0538 ist in The Speed Merchants zwar nur einige Sekunden zu sehen, ist aber weit nach der Saison 1972 noch immer Gesprächsthema. Der Porsche zählt zu einer letzten Serie von 24 für Motorsportkunden aufgelegten Elfern, die noch ohne Entenbürzel und Servierbrett-Spoiler der Folgemodelle RS, RSR und Turbo auskommen. 49.680 Deutsche Mark, 270 PS, 2,5-Liter-Boxermotor vom Typ 911/70. Er bildet den vorläufigen Höhepunkt einer technischen Evolution, die 1965 mit dem Einsatz eines knapp 130 PS starken 911 2.0 bei der Rallye Monte-Carlo begonnen hat.

Für Barth und Keyser beginnt das Abenteuer bei den 12 Stunden von Sebring. Der Start auf dem holprigen Flugplatzkurs in Florida endet mit einem technischen Defekt: Die Zwischenwelle zum Kettenantrieb der Nockenwelle bricht. Danach reist der Porsche im Bauch eines Transporters auf dem Seeweg nach Europa. Erster Halt dort ist Reutlingen, wo die Keyser-Truppe die Werkstatt von Max Moritz als Basis nutzt. Von hier aus bricht das Team zur Targa Florio auf. „Der vollgepackte Transporter mit Automatikgetriebe war nicht gerade ideal für die Fahrt über die Alpen nach Italien“, schreibt Keyser in seinem Tagebuch. „Weil die Bremsen zu überhitzen drohten, stellte sich unser Fahrer und Chefmechaniker Hans Mandt jederzeit darauf ein, mangels Auslaufzonen notfalls abzuspringen.“ Schließlich aber kommt der Porsche heil in Sizilien an. Im Rennen liegen Barth und Keyser zeitweise auf Platz sechs in der Gesamtwertung, bis der Deutsche in der achten Runde auf Öl ins Rutschen kommt und in einer Mauer landet. „Zum Glück blieben dabei sowohl der Ölkühler als auch die Aufhängung unversehrt. Doch die Richtarbeiten in der Box warfen uns auf Platz zehn zurück“, erinnert sich Barth.

„Mir war extrem flau im Magen. Als ich das Steuer an Jürgen übergab und wieder festen Boden spürte, erholte ich mich aber schnell. Wichtiger war ohnehin, dass das Auto noch in einem Stück war.“ Michael KEYSER

Nur eine Woche später geht es zum 1.000-Kilometer-Rennen an den Nürburgring. Diesmal ohne Kameras, weil der Automobilclub ADAC wegen eines früheren Vorfalls mit einem bei voller Fahrt abgerissenen Apparat sein Veto einlegt. Von Startplatz 29 arbeitet sich das Duo bis auf Rang 13 vor. Vierter Platz in der GT-Klasse. Keyser findet die Nordschleife weniger schwer zu lernen als den Targa-Florio-Kurs, doch die „grüne Hölle“ setzt ihm trotzdem zu. „Mir war extrem flau im Magen – wahrscheinlich die Folge einer kurz zuvor verzehrten Bratwurst und dem ständigen Auf und Ab der Strecke. Als ich das Steuer an Jürgen übergab und wieder festen Boden spürte, erholte ich mich aber schnell. Wichtiger war ohnehin, dass das Auto noch in einem Stück war.“ Zum Saisonhöhepunkt in Le Mans wird der Porsche beim 24-Stunden-Rennen als Kamerawagen eingesetzt.

Und Action!

Und Action!

Michael Keyser, Rennfahrer, Autor und Produzent, bei einem Dreh in Sebring.

Während des Trainings entstehen faszinierende Nachtaufnahmen, auch dank einer zusätzlich in einem Stahlgerüst am Heck fixierten 16-Millimeter-Bolex-Kamera. „Wir konnten beide Kameras per Knopfdruck von innen ein- und ausschalten“, erinnert sich Keyser. So glatt die Dreharbeiten verlaufen, so nervenaufreibend gestaltet sich die Zulassung zum Rennen. Der Automobile Club de l’Ouest verwehrt dem 911 zunächst den Start. Doch Barth, der fließend Französisch spricht und dazu noch ein gallisches Motorsportnetzwerk hinter sich weiß, findet ein Schlupfloch: „Durch meine Kontakte zum Porsche-Motorentuner Louis Meznarie, den ich von Rallyeeinsätzen kannte, konnten wir dessen Nennung übernehmen – unter der Bedingung, dass wir seinen Fahrer als dritten Piloten ins Team holen würden.“ Dank dieses Kniffs absolviert der kurzerhand zum französischen Auto deklarierte Porsche die Abnahme in weniger als einer Stunde.

Im Rennen hat Keyser kurz vor der Porsche-Box einen Unfall, der allerdings nur leichte Schäden verursacht. So wird der von den Rennstrapazen gezeichnete 911 im Ziel als 13. des Gesamtklassements und als Sieger in der GT-Klasse bis drei Liter abgewunken. Dass die Startnummer 41 den Marathon als einziger Porsche 911 im Feld übersteht, ist ebenfalls der Findigkeit von Barth zu verdanken: Er hatte aus Zuffenhausen eigens für Le Mans einen Kurzhubmotor erhalten. In einem Schreiben an den Vorstandsvorsitzenden von Porsche, Ernst Fuhrmann, berichtet Barth später detailliert über die Erfahrungen mit dem 264 PS starken Versuchsmotor: „Auf den Geraden waren wir etwas langsamer als die 2,5-Liter-Porsche, dafür kamen wir schneller aus den Spitzkehren. Während des Rennens wurde der Motor mit maximal 7.800 Umdrehungen pro Minute gefahren.“

Die Anfänge

Die Anfänge

Jürgen Barth zu Beginn seiner Rennlaufbahn.

Nach Le Mans gehen Keyser und Barth getrennte Wege. Es dauert noch zwei Jahre, bis Keyser den Film The Speed Merchants fertigstellt. Aus rund 70 Stunden Material schneidet er 95 Minuten zusammen. Wegen seiner beeindruckenden Kamerafahrten und der tiefen Einblicke in den Fahreralltag von Stars wie Mario Andretti, Vic Elford, Helmut Marko, Brian Redman und Jacky Ickx zählt der Film heute zu den Klassikern des Genres.

Verwahrloster Scheunenfund

Ende 1972 verkauft Keyser den Porsche 911 ST 2.5 an Don Lindley und erwirbt ein neues RS-Modell. Lindley fährt das Auto bei IMSA-Rennen, zuletzt im Mai 1975 in Riverside. Nach zwei weiteren Besitzerwechseln verliert sich dann die Spur des gelben Elfers – bis Marco Marinello, Porsche-Kenner und Präsident des Porsche Clubs Basel, im Jahr 2008 erstmals Hinweise auf einen möglicherweise sensationellen Scheunenfund erhält: In San Francisco steht angeblich ein 911 ST 2.5. Im Jahr 2013 fliegt Marinello mit einem Interessenten aus der Schweiz nach Kalifornien, um die Identität des Porsche zu klären. Schnell ist klar: Hier steht ein echter, wenngleich völlig verwahrloster ST. Dass es sich um Keysers Wagen handelt, ist dagegen nicht sicher. Erst ein Inserat, das Lindley einst in einem Automagazin geschaltet hatte, und ein vom dritten Besitzer unterschriebener Kaufvertrag bringen ein Jahr später Gewissheit.

Entrostung und Wiedergeburt

Auf Vermittlung durch Marinello erwirbt sein Landsmann das desolate Fahrzeug und gibt es zur Restaurierung an Porsche Classic in Freiberg am Neckar. Dort sind zunächst die Karosserieexperten von Porsche gefragt, denn der Elfer hatte mehrere Unfälle, die ihn sozusagen gekrümmt haben. Der hintere Querträger fehlt, ebenso der Motor. Das Dach ist stark eingedrückt, offenbar Folge eines Vorfalls, bei dem der unbeaufsichtigte Wagen einen Abhang hinuntergerollt und kopfüber gelandet war. Also wird die Rohkarosse auf der Richtbank rückverformt, anschließend erhält sie nach gründlicher Entrostung ein neues Dach und neue Kotflügelbacken. Zweieinhalb Jahre und mehr als tausend Stunden Handarbeit später wird der Wagen in einer kathodischen Tauchlackierung beschichtet und anschließend im Originalfarbton mit dem Code 117 lackiert. In diesem charakteristischen Hellgelb glänzt der wiedergeborene ST erstmals wieder auf der Automobilmesse Techno Classica 2016 in Essen. Ein gelungenes Comeback!

Thomas Imhof
Thomas Imhof

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