Formfreude

Architekt Ulf Möller über zeitstabiles Design, die Leuchte Lum, Thonet und seinen America Roadster.

  

Was macht der Porsche in der Möbelfabrik? Für Ulf Möller passt das gut zusammen. Hier bei Thonet beginnt seine ganz persönliche 911-Story. Der Designer konzipiert 2010 für den renommierten Möbelproduzenten die mittlerweile ikonenhafte Leuchte „Lum“. Vom Honorar hat er sich das seltene 911-Sondermodell America Roadster gekauft. „Meine Belohnung“, sagt Möller und deutet über das weiße Cabriolet hinweg in die Werkhalle: „Und genau hier wird meine Lum gefertigt.“ So kommt zusammen, was aus Sicht des Gestalters zusammengehört. Licht an für den weißen Porsche 911 Carrera 2 mit schwarzem Verdeck und Turbolook.

Möller liebt es unkonventionell. Zum weißen Haarkranz von auffälliger Länge trägt er eine silberfarbene Daunenjacke, die Füße stecken in hohen Reitstiefeln. So fühlt er sich wohl – und so kann er jederzeit einen Abstecher zur Koppel unternehmen, wo seine Hannoveraner Stute Daisy auf Bewegung wartet. Spontan denkt man bei der Erscheinung Möllers an Doc Brown aus dem Filmklassiker Zurück in die Zukunft. Verrückte Ideen Wirklichkeit werden lassen, damit fühlt sich der Erfinder wohl. Möllers Freude am Überraschenden ist denn auch die Triebfeder für unseren Fototermin mit dem America Roadster inmitten der Möbelproduktion. Ein Teil der Werkshalle bei Thonet wurde extra freigeräumt. So kann der Wagen dort inszeniert werden, wo das Stahlrohr gebogen wird für Lum, Möllers elegant geschwungene Leuchte.

„Form follows function“, sagt Möller, wenn er über gelungenes Design spricht. „Es geht darum, authentisch mit dem Material zu arbeiten und es in die für den Zweck ideale Form zu bringen.“ Außerdem benutzt er gern das Wort „zeitstabil“, wo andere „zeitlos“ sagen würden. „Denn aus zeitstabil wird wertstabil“, erklärt er. Das gelte für Stühle, Leuchten und Autos gleichermaßen. Und es sei kein Zufall, fährt Möller fort, dass Ferdinand Alexander Porsche, verantwortlich für den Porsche 911 und den Porsche 904, an der Ulmer Hochschule für Gestaltung studiert hat. „Ulm steht wie keine zweite Designschule für eine funktionale, reduzierte Ästhetik.“ Das gleiche Formdenken wird auch bei Thonet gepflegt. Schließlich hat sich der Möbelhersteller konsequent der Tradition der klassischen Bauhaus-Schule verschrieben.

Als Möller seine Leuchte Lum entwickelt, geht es nicht nur um eine puristisch-präzise Form. Allein Design ist ihm zu wenig. Erst in Kombination mit Spitzentechnologie wird für Möller aus einem optisch ansprechenden Gegenstand ein Klassiker.

„Was Porsche aktuell mit dem Taycan macht, ist in gewisser Weise vergleichbar damit, wie sich Thonet vor zehn Jahren das Thema Leuchten erschlossen hat“, sagt Möller, blickt kurz zum 911 und dann auf die Stahlrohre seiner Lum. Die LED-Technologie, die Berührungsautomatik, die in einem Stahlrohr mit zwanzig Millimeter Durchmesser verborgene Elektronik – das alles war damals der neueste Stand der Technik in der Elektronik und für Thonet Neuland. Möller: „Bis alles so funktioniert hat, wie wir es uns vorgestellt haben, vergingen mehrere Monate.“ Eine zentrale Herausforderung zu jener Zeit war beispielsweise – ähnlich wie bei Elektrofahrzeugen – das Thermomanagement. Denn hohe Temperaturen machen einer LED rasch den Garaus. Deshalb sorgt in der Leuchte Lum eine getaktete Gleichstromspannung dafür, dass die LED immer wieder aus- und eingeschaltet werden. So schnell, dass es das menschliche Auge nicht wahrnimmt, aber doch lange genug, um die Temperatur in einem Toleranzbereich zu halten. Der Effekt des Aufwands: Die LED halten praktisch ewig. „Auch das ist zeitstabil.“

Zeitstabil ist selbstverständlich auch der 911 America Roadster. Möller entdeckte ihn 2011 in Kalifornien und importierte das turbobreite Cabriolet der Generation 964 in seine Heimatstadt Kassel. Lediglich rund 400 Fahrzeuge dieser 911-Version wurden Anfang der 1990er-Jahre gebaut – als Erinnerung an die ersten America Roadster, bildschöne Porsche 356 Zweisitzer mit Stoffverdeck, 1952 und 1953 speziell für den US-Markt produziert.

America Roadster:

America Roadster:

Rund 400 Modelle der Sonderserie des Porsche 911 (Generation 964) wurden 1992 für die USA aufgelegt. Der Wagen war eine Erinnerung an den 40 Jahre zuvor erstmals vorgestellten Porsche 356 America Roadster.

Ulf Möller fand sein Exemplar durch Zufall. „Der Wagen hatte 75.000 Meilen auf dem Tacho und war blendend in Schuss“, sagt Möller. „Vor allem hat mich seine breite Karosserie beeindruckt. Und dann dieser coole Roadster-Schriftzug am Heck – ein betörendes Auto.“ Und eines mit Musik im Blut. Der amerikanische Vorbesitzer ließ eine Musikanlage vom Designexperten Braun einbauen, mit acht Lautsprechern, einem Subwoofer hinter den Sitzen und einer Endstufe vorn unter der Haube. „Als ich den Deckel des Kofferraums zum ersten Mal geöffnet habe, sind mir fast die Augen rausgefallen, denn er war schon voll“, berichtet Möller. „Der Klang ist irre, mit dem Auto geht auch musikalisch die Post ab.“

Dass Möller sich spontan vom America Roadster infizieren ließ, hat mit einem Erlebnis in der Studienzeit zu tun – genauer mit seiner ersten Porsche-Fahrt. Damals, das ist 1990. Ort der Handlung: Erfurt. Möller, 21 Jahre alt, studiert in Darmstadt Architektur und Städtebau, arbeitet aber parallel auch in einem Architekturbüro. Das baut gleich nach der Maueröffnung eine Pizzeria in Erfurt. Nach einem Ortstermin auf der Baustelle gibt der Chef dem Studenten Ulf den Schlüssel für seinen brandneuen Porsche 911 (964) und den Auftrag: Fahr tanken! „Ich war total begeistert“, erinnert sich Möller, „obwohl es sich zunächst nach einer Odyssee anfühlte. Ich kurvte schweißnass durch die halbe Stadt, weil ich keine Tankstelle fand. Als ich endlich Glück hatte, machte der Tankwart gerade Feierabend. Es brauchte einige Überredungskunst, um noch an Benzin zu kommen. Das Fahrerlebnis aber war grandios.“

Minimalistisch und zeitstabil:

Minimalistisch und zeitstabil:

Die aktuelle Wandgarderobe „S 1520“ lehnt sich an den Thonet-Klassiker „B 52/1“ aus den Jahren 1930/31 an. Ewig junges Bauhaus-Design.

Abseits der Norm
die eigene Form gefunden.

Möllers Design ist immer zeitstabil.

Zwei Jahrzehnte dauert es, bis Möller wieder 911 fährt, diesmal den eigenen. In der Zwischenzeit macht sich der Designer selbstständig und steigt in ein Architekturbüro ein, das ihm heute gehört. Irgendwann um die Jahrtausendwende meldet sich dann Thonet. Der Möbelhersteller aus Frankenberg sucht einen Planer für Renovierungsarbeiten. Heute ist Möller Hausarchitekt bei Thonet. Zwei seiner jüngsten Arbeiten sind der neue Showroom in der ehemaligen Familienvilla und die Holzfassade der Produktionshalle ein paar Straßen weiter, dort wo der America Roadster wartet.

Garage:

Garage:

Möllers Porsche, darunter zwei Boxster, finden Unterschlupf in einem ehemaligen Industriegebäude.

„Für mich ist der 964 einer der schönsten Elfer“, sagt Möller. Er schwärmt vom klassischen Bug mit den charakteristischen, aufrecht stehenden Scheinwerfern, von den breiten 18 Zoll großen Rädern, vom „stattlichen und zugleich sehnigen“ Gesamteindruck. „Ich liebe es, am Steuer zu sitzen und in den Rückspiegel zu schauen – denn da sieht man richtig viel Auto“, sagt Möller.

Alltagswonne:

Alltagswonne:

An seinem Macan schätzt Möller vor allem die Langstreckentauglichkeit und umfassenden Konnektivitätsfunktionen.

„Der Wagen ist inzwischen 28 Jahre alt, fühlt sich aber beinahe so frisch und agil an wie ein Neuwagen.“ Möller kann es beurteilen, denn inzwischen hat er seinen Fuhrpark ganz auf Porsche umgestellt: Neben dem seltenen Roadster steht ein gelber Porsche Boxster Spyder (Generation 981) in der Garage. „Meine Extradosis Vitamin C“, lacht Möller. Daneben, etwas aggressiver konfiguriert: ein roter Porsche Boxster Spyder (Baujahr 2011, Generation 987) sowie sein Alltags-Porsche, ein schwarzer Macan. Bleibt noch die Frage an den autophilen Designer, wie denn ein Auto aussähe, das er gestalten würde. „Ich würde einen aerodynamisch perfekten Kombi machen“, sagt Möller. Natürlich wäre der Wagen technisch innovativ und puristisch – eben Bauhaus-Design des 21. Jahrhunderts.

THONET

Mit einer Möbeltischlerei im kleinen Ort Boppard am Rhein macht sich Michael Thonet 1819 selbstständig. Überregional bekannt wird er durch ein neuartiges, von ihm entwickeltes Verfahren, mit dem sich Massivholz biegen lässt. Mit 107 Grad heißem Wasserdampf werden Buchenstäbe dabei weich gemacht, in Form gebracht und fixiert. In Wien, wohin Thonet später umzieht, schuf er aus solchen Stäben den ikonenhaften Wiener Kaffeehausstuhl „Nr. 14“ (heute „Nr. 214“). Aufgrund der einfachen Konstruktion beginnt mit diesem Stuhl die industrielle Produktion in der Möbelbranche – mehr als 50 Millionen wurden bis heute gefertigt. Als in den 1920er- Jahren Bauhaus-Designer wie Ludwig Mies van der Rohe, Marcel Breuer und Mart Stam Mobiliar aus Stahlrohren entwerfen, werden sie auf der Suche nach einem kompetenten Produzenten bei Thonet fündig, der mittlerweile nach Deutschland zurückgekehrt ist. Die Firma perfektioniert das präzise Verformen von Stahlrohren. Dank seiner Innovationskraft wird Thonet der international führende Produzent der modernen Bauhaus-Möbel. Klassiker entstehen, wie der Freischwinger „S 32“, bei dem man, wie es Marcel Breuer formuliert, „wie auf einer elastischen Luftsäule“ sitzt.

Ikonen aus der Welt der Möbel von Thonet
Sven Freese
Sven Freese