Götterdämmerung in Graubünden

Porsche Schweiz – Die schönsten Alpenpässe der Schweiz mit einem Porsche 911 GT1 Strassenversion erstürmen? Klingt zu schön, um wahr zu sein. Ausser man heisst Mark Webber – und hat einen heissen Draht zum Porsche Museum. 

   

Die Götter der alten Griechen waren eine eigenwillige Spezies. Die meiste Zeit residierten sie in den wolkigen Höhen des Olymps. Nur ganz, ganz selten stiegen Zeus, Apollon, Artemis und Co von ihrem Göttersitz herab und mischten sich unter die Sterblichen, um Verwirrung zu stiften und dabei eine ganze Menge Spass zu haben. Ähnlich allmächtig und vergnügt dürfte sich auch Mark Webber fühlen, als er Anfang Oktober aus den Bergen des Engadins hinab nach Italien donnert.

Mit Rahm:

Mit Rahm:

Der Porsche 911 GT1 ist leicht genug – da muss Rennsportler Mark Webber bei Hanselmann in St. Moritz nicht auf die Linie achten.

Der australische Rennfahrer hat schon viele hochkarätige und rasante Sportwagen bewegt – schliesslich startete er mehr als 200 Mal in der Formel 1 und fuhr zwischen 2014 und 2016 für Porsche in Le Mans. Und doch ist das Auto, hinter dessen Steuer er an diesem Herbsttag Platz nehmen darf, etwas ganz Besonderes: Als einer von nur 21 gebauten Strassenversionen des Porsche 911 GT1 von 1997 ist der Homologationssportwagen sonst nur aus sicherer Entfernung im Porsche Museum in Zuffenhausen zu bewundern. Und auch wenn der GT1 Street über eine Strassenzulassung verfügt, stammt die Technik doch direkt von der Rennstrecke. Umso erstaunlicher ist es für die Bündner Verkehrsteilnehmer, den mythischen Streitwagen plötzlich leibhaftig im Rückspiegel zu erblicken.

Das Porsche Museum hat den Porsche 911 GT1 freilich nicht ohne Grund in die Schweiz gebracht. Am Comer See findet am folgenden Wochenende die neueste Ausgabe des Fuori Concorso statt.

Und das Event, das der Mailänder Modeunternehmer und eklektische Autosammler Guglielmo Miani jährlich im Garten der Villa del Grumello ausrichtet, steht dieses Mal ganz im Zeichen des Turbomotors. 

Manche mögens eng:

Manche mögens eng:

Aus Le Mans und der Formel 1 ist Mark Webber gut sitzende Cockpits gewohnt.
„Was für eine fantastische Maschine!“ Mark Webber

Zum Aufwärmen gibt es nun eine kleine Turbo-Tour von St. Moritz durch die Berge des Engadins in Richtung Como. Mit dabei sind ein knallroter Lancia Hyena Zagato, ein goldener Porsche 911 Turbo (930) – und der silberne GT1 mit Mark Webber hinterm Steuer als Überraschungsgast. Vom ehrwürdigen Waldhaus in Sils Maria aus startet die illustre Runde am Morgen ihre Rundfahrt in Richtung St. Moritz – und auch ohne den berühmten Malojawind im Rücken kommen die Turbos auf dem windigen Highway durch das Hochtal schnell auf Touren. Beim Traditionskonditor Hanselmann wird schnell noch ein Café Crème gereicht, dann geht es – dem allgemeinen Kurvenhunger folgend – weiter in Richtung Berninapass. Höchstgeschwindigkeiten wie in Le Mans kann man auf der Alpenstrasse zwar nicht erreichen, dafür sind die Kurvenkombinationen umso geschmeidiger. 

Kurvenstar:

Kurvenstar:

Mit seinen Serpentinenkurven ist der Malojapass der ultimative Test für die Wendigkeit eines Supersportwagens.

„Der 911 GT1 ist ein ganz besonderes Stück Porsche-Geschichte,“ sagt Mark Webber, während er den gewaltigen Sportwagen durch die engen Kurven und Kehren der Bündner Bergwelt dirigiert. „Bei den 24 Stunden von Le Mans hat der GT1 97 Evo einen unvergesslichen Doppelsieg eingefahren. Der Turbomotor leistete 600 PS, er war unglaublich zuverlässig und verdammt erfolgreich.“ Webber schaltet herunter, das Dröhnen und Pfeifen des Sechszylinder-Boxermotors schallt von den Felsen zurück. „Ich bin überglücklich, diese seltene Strassenversion des Porsche GT1 mit so einer tollen Gruppe von Gleichgesinnten durch die wunderschöne Schweiz fahren zu dürfen.“ Der Turbo singt, die Sonne scheint auf schneebedeckte Gipfel, der Rennveteran am Steuer strahlt. „Was für eine fantastische Maschine!“

Schon vor 25 Jahren war der Porsche 911 GT1 eine Erscheinung. 1996 war er in Le Mans als erster Porsche 911 mit einem Mittelmotor gestartet. Für die Rennteilnahme musste ein Homologationsfahrzeug gebaut werden. 

Aufgrund der bestehenden Kundennachfrage wurden 1997 21 strassenzugelassene Exemplare des Langstreckenkatapults gebaut. Die meisten davon wurden ab Mai 1998 zum Stückpreis von 1,55 Millionen D-Mark zügig verkauft. Unter der eindrucksvollen Hülle steckte ein Chassis aus Stahlblech und kohlefaserverstärktem Kunststoff, ein Rennfahrwerk mit doppelten Dreieckslenkern, 380 Millimeter grossen Bremsscheiben und ein Doppelturbo-Motor, der seine 544 PS Leistung über ein Sechsgang-Getriebe an die Hinterachse schickte. Aus dem Stand sprintete der Porsche 911 GT1 in nur 3,7 Sekunden auf 100 km/h. 

Die grössten Gemeinsamkeiten mit dem damaligen Porsche 911 sind zugegebenermassen die charakteristischen Frontscheinwerfer und der Schriftzug am Heck. Und doch erinnert der GT1 an die turbulente Zeit, als der erste wassergekühlte Elfer der Generation 996 zur Rettung des Unternehmens antrat. Die Strahlkraft und Motivation, die vom Siegeszug des GT1 in Le Mans ausging, sollte man deshalb nicht unterschätzen. „Motorsport spielt bei Porsche immer eine grosse Rolle“, sagt Webber, der als Werksfahrer für den Sportwagenhersteller in der Königsklasse LMP1 angetreten ist. „Die Marke ist an ihren Herausforderungen im Rennsport stetig gewachsen. Und die Technik, die für den Motorsport entstand, hat zahlreiche erfolgreiche Serienautos hervorgebracht.“

Turbo-Tour:

Turbo-Tour:

Zum Aufwärmen für den Fuori Concorso führt der Porsche 911 GT1 die Turbo-Sportwagen durchs Engadin zum Comer See.
„Was für ein zeitloses wunderschönes Biest.“

Nach einer ausgedehnten Passrundfahrt durch eisige Höhen geht es nun wieder in Richtung Südwesten – und hinab über die spektakulären Haarnadelkurven des Malojapasses ins wildromantische Bergell. Mark Webber fährt auf der Poleposition und leitet das Turbo-Rudel durch Natursteindörfer in Richtung Italien. Bald weisen die ersten Palmen den Weg in Richtung Lago di Como. Auf den engen Seestrassen, zwischen Vespas und verbeulten Fiat Pandas, wirkt der Porsche 911 GT1 noch mehr wie ein Besucher aus einer anderen Welt. Als der Korso die Villa del Grumello erreicht, haben im Park bereits zahlreiche andere Turbo-Ikonen Stellung bezogen. Da ist etwa ein Prototyp des Porsche 959, ein 968 Turbo RS und ein 962 Gruppe-C-Rennwagen im Rothmans-Livrée. Selten hat man den unglaublichen Siegeszug des Turboladers bei Porsche so anschaulich bewundern können wie beim Fuori Concorso.

Bella Macchina:

Bella Macchina:

Selbst auf den engen Landstrassen am Comer See lässt sich der Porsche 911 GT1 entspannt pilotieren.

„Ich bin verliebt!“, frohlockt derweil Mark Webber mit breitem Grinsen, als er dem Cockpit des GT1 entsteigt. „Was für ein zeitloses wunderschönes Biest.“ Die Götter auf dem Olymp hätten dem sicherlich nichts hinzuzufügen.

Jan Baedeker
Jan Baedeker
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