Tanz im Drift

„Gleitwärts“ nennt Jim Goodlett seine bevorzugte Fahrweise. Gekonnter Drift im Safari Rally Porsche 911 SC. Willkommen auf dem imaginären Beifahrersitz.

  

Es gibt diese Leute, die erzählen dir was und du bist gleich mittendrin in der Geschichte. Mit Blitz und Donner im Kieselsteingewitter – und das daheim am Schreibtisch. Jim Goodlett ist so ein Typ. Er fährt bei sich zu Hause in Savannah im US-Bundesstaat Georgia im Safari-Rallye-Elfer gewaltig staubend durchs Gelände, und eigentlich hätten wir uns gerne in den Schalensitz neben Jim geschnallt, um nachzufühlen, wie das ist, wenn er den Porsche 911 SC von 1978 auf Schotter anstellt. Der Flug war bereits gebucht, aber dann – Corona.

Plan B, das heißt: Videokonferenz. Ganz toll. Wie soll man das Gefühl tiefer Leidenschaft aus erster Hand mitbekommen, wenn man im Büro sitzt und auf einen Bildschirm blickt? Ganz einfach: Jim Goodlett anwählen. Der strahlt dich sogar virtuell so an, dass du erst einmal die Monitorhelligkeit runterregeln musst. Dann zeigt er stolz mit der Computerkamera das Laufband, das unter seinem Stehschreibtisch wartet – „Ich mache jeden Tag bei der Büroarbeit acht bis 20 Meilen!“ – und senkt schließlich verschwörerisch lächelnd die Stimme: „Weißt du, was ich am Racing so liebe? Es hält mich fit! Ich bin Baujahr 1962 und fahre Kartrennen gegen Jungs, die halb so alt sind wie ich. Mit dem Laufband erhalte ich mir meine Kondition fürs Spätbremsen und reiße das Kart bei vollem Tempo im Drift rum, genau wie im Gelände meinen Elfer.“

Jim nennt diese Fahrweise „gleitwärts“. „Das sieht aus wie ein kontrollierter Unfall – und das über 500 Mal in einem 10-Stunden-Rennen. Herrlich!“

Jim hat Spaß. Die ganze Erzählung aus seinen Tagen in der Kartmeisterschaft mit seinem Freund Ray Shaffer klingt köstlich. Als Zuhörer gehst du mit, bist mittendrin in der Geschichte. Jim schildert alles bunt und blumig, es geht vom Hundertsten ins Tausendste, eine Achterbahnfahrt und irgendwann hast du vergessen, was eigentlich nochmal die Frage war. Du bist neugierig, was dieses Naturwunder an authentischer Erzählkunst und ansteckender Lebensfreude noch so alles auspacken wird. Dann sagt Jim plötzlich: „Um es kurz zu machen“ – und bindet mit klar geordneten Bildern den Sack zu. Zack.

Am Anschlag:

Am Anschlag:

Der erfolgreiche Manager Jim Goodlett, unter anderem President of Morris Technology, lebt seine sanfte Seite am Piano aus. Seine wilde gehört ganz Porsche.

Genau so muss sich eine Ausfahrt mit ihm auf dem Beifahrersitz des 911 SC anfühlen: ein Stakkato-Ritt, prall, emotional und voll unerwarteter Wendungen. Ausgedrehter röhrender Luftgekühlt-Boxer, während Schotter und Erdbrocken den Fahrzeugboden massieren. Volle Lotte auf die Ecken im Wald zu und Jim neben dir brüllt ins Headset, fragt, ob es dir gut geht. „Warum?“ tönst du zurück, deine Frage scheppert unsicher und dünn in den Kopfhörern. Als Antwort haut Jim in die Eisen, stellt den Elfer quer, balanciert den schräg dahinschabenden Porsche mit lässigem Lenkraddreh aus. Der Wagen hat eine Traktion, die dich sprachlos macht, er reißt vorwärts, dass die Klumpen nur so fliegen, raus auf die Gerade. Jim grinst, du grinst. Gleitwärts fahren. So geht das. Und das wäre jetzt der Moment, um seine Lieblingsbar anzusteuern.

„Du musst erleben, wie dieses Auto Freude auslöst.“ Jim Goodlett

Viele tausend Kilometer hat Goodlett mit seinem 911 SC auf diese Art in den Appalachen zurückgelegt. Raus in die Wildnis, auf Straßen, die nicht wissen wie man Asphalt buchstabiert. In einer Fahrweise die „gerade noch nicht gefährlich ist“, sagt Jim im Videochat, während er auf dem Laufband gerade bei Gehmeile viereinhalb ist.

Das Faible für Offroad-Porsche hat Jim Goodlett genau so aufgesammelt, wie er es weitergibt: durch Momentaufnahmen, die sich ins Gehirn einbrennen und dort Bilder voller Wirkmacht erzeugen. Es sind Werke wie in einer gut kuratierten Galerie.

Motiv Nummer eins: Hot-Wheels-Rallyeautos, die von Kinderhänden immer nur quer gefahren werden. Der Drift auf der Sofalehne oder zwischen Tellern und Tassen ist normaler Aggregatzustand. Vor allem bei Goodlett war das so. Seine Augen strahlen, wenn er begeistert seine 911-Modellautoparade auf dem Schreibtisch vorführt.

Motiv Nummer zwei: Autorennen gucken mit Papa, Jim ist elf oder zwölf Jahre alt. Bei den Übertragungen des International Race of Champions (IROC) rumpeln Porsche 911 RSR von der Strecke, driften aber nach rotzfrechen Offroad-Einlagen einfach wieder zurück auf die Piste und versohlen die Gegner reihenweise. Jim ist – milde gesagt – schwer beeindruckt und textet seinen Kumpels im texanischen Denver die Ohren voll, was für ein Hammer das ist. Porsche, Mann!

Vollgas-DNA:

Vollgas-DNA:

Die Porsche-Leidenschaft seines Vaters prägte den gebürtigen Texaner ebenso wie die Freundschaft mit Ray Shaffer, früher Direktor bei Brumos Porsche.

Motiv Nummer drei: Fotos in einer europäischen Sportzeitschrift. Sie zeigen 1978 die Martini Racing Porsche 911 SC, die damals bei der East African Safari Rally Furore machen. Viele Jahre später kauft Goodlett einen 1978er 911 SC, der bereits ein paar Rallye-Verschlimmbesserungen hinter sich hat und durch ihn jetzt mit Überrollkäfig, Fahrwerk- und Motorumbauten, Rennsitzen und Sechspunktgurten endgültig zum Safari-Rallyracer konvertiert.

Motiv Nummer vier: Jim besucht als Uni-Absolvent einen Porsche-Händler in Houston. Er möchte eine Freundin beeindrucken und erhält sogar eine Probefahrt als Teil einer liebevollen Backstage-Tour durch einen Porsche 930. Der Verkäufer muss ahnen, dass dieser Lümmel nicht das Geld für den Über-Porsche der 1980er-Jahre hat, aber das kümmert ihn offenbar nicht. Er entzündet in Jim ein Feuer, das niemals erlöschen wird. Als Jim 50 wird, kauft er einen baugleichen 911 Turbo von 1984 in Schieferblau Metallic. Der 930 wird sein erster Porsche.

Training absolviert:

Training absolviert:

Goodlett driftet am liebsten täglich.

28 Tage später taucht in seinem Universum ein Porsche 911 RSR-Nachbau auf, und wieder ergreift er die Gelegenheit. Der rund 900 Kilogramm leichte Elfer mit Rohrrahmen und Glasfaserkarosserie wandert als Renntier in die Garage. Als knapp drei Jahre danach noch der 911 SC hinzukommt, beherbergt diese nun all jene verrückten, magischen Gestalten, die schon lange in Jims Kopfkino spielten. „Nur eines kannst du dir nicht vorstellen“, manifestiert er eindringlich und dicht an der Kamera, „du musst selbst erleben, wie diese Autos Freude auslösen. Wie roh und explosiv, wie durchdacht und subtil, einfach und gleichzeitig vielschichtig sie sind. Ein Porsche ist ein Traum – wenn er Realität wird, wirkt alles andere plötzlich blass.“ Der Mann in Savannah winkt in die Kamera. Nickt und lacht. Dann wird der Bildschirm dunkel.

Ben Winter
Ben Winter