Einmal durch die Grüne Hölle

Porsche-Pilot Lars Kern unterzieht den Taycan einem ultimativen Test – auf der Nordschleife des Nürburgrings

  

Verbrauchsangaben

Porsche Taycan Turbo S
Stromverbrauch kombiniert: 26,9 kWh/100 km
CO2-Emission kombiniert: 0 g/km

(Stand 10/2019)

„Ich kann fast voll auf dem Gaspedal bleiben, gleich muss ich dem Auto blind vertrauen, ab ins Karussell.“ Lars Kern

Die Eifelluft ist außergewöhnlich warm an diesem Sommerabend, als Lars Kern einmal um die Nordschleife radelt, etwas mehr als 20 Kilometer. Er ist 31 Jahre alt und seit knapp acht Jahren Test- und Entwicklungsfahrer bei Porsche. Er kennt hier fast jeden Baum. Auf der Nordschleife des Nürburgrings, die sich vor lauter Respekt oder aus purer Angst als „Grüne Hölle“ in das kollektive Gedächtnis des Motorsports gefräst hat, fühlt er sich wie im siebten Himmel. Er hat den Kurs im November 2018 in einem Porsche 911 GT2 RS MR in der Rekordzeit von 6:40,30 Minuten umrundet.

Mit dem Porsche Taycan ist er zum ersten Mal im Herbst hier gewesen. Und so wie das Wetter waren seine Gefühle für das, was er da bewegen sollte: kalt.

„Meine Erwartung an das Fahrzeug war nicht besonders hoch“, räumt Kern ein. Doch dann kam alles anders. Bereits nach ein paar hundert Metern am Steuer des Taycan war er begeistert. Noch heute ist für den Porsche-Piloten die Faszination spürbar. Auf einmal saß an diesem Oktobertag ein anderer Lars Kern im Taycan. Seine Skepsis: weggefahren.

Nordschleife – Gradmesser für die Balance

Der nächste Morgen. Nach Monaten Entwicklungs- und Testfahrten wird Kern heute eine der letzten Nordschleifenrunden vor der Markteinführung des Taycan absolvieren. Er frühstückt spät und nicht viel, gegen Mittag legen er und das 15-köpfige Team um Baureihenleiter Stefan Weckbach strategisch wichtige Punkte fest, an denen er später wegen des Energiemanagements ein bis zwei Sekunden vor dem Bremspunkt das Fahrpedal lupfen wird. Der Performance-Slot ist von 18 bis 20 Uhr. Porsche testet ungefähr 16 Wochen jährlich auf der Nordschleife. Der Anspruch an Mensch und Maschine ist hier so hoch wie nirgends sonst. Der Ring ist das ultimative Testlabor. Knallhart. Wer hier durchfällt, braucht woanders erst gar nicht mehr antreten.

Der Taycan steht bereit. Alle notwendigen Vorkehrungen sind getroffen: Sechspunktgurt, Schalensitz und Messtechnik eingebaut, die Rücksitzbank ist dem Überrollkäfig gewichen. Das bringt mehr Gewicht, aber auch mehr Sicherheit. Kern:

„Abseits der Sicherheit und der notwendigen Messtechnik ist unser Anspruch bei jeder Testfahrt, so nah wie möglich am Serienfahrzeug zu bleiben und somit auch so nah wie möglich am Kunden.“

„Ich sträubte mich dagegen, eine Runde Nordschleife in einem Elektrofahrzeug zu fahren. Und dann kam alles total anders. Noch heute spüre ich, wie fassungslos ich war, als ich durch den Streckenabschnitt Hatzenbach fuhr. Es hat nur ein paar hundert Meter gedauert, dann schlug meine Skepsis in Faszination um.“

Startknopf links – ein Stück Tradition

Start T13, benannt nach der Tribüne T13, Fahrtrichtung rechts. Der Asphalt ist 48 Grad heiß, die Luft um 33 Grad. Kern ist entspannt. So, wie sich andere auf den Schreibtischstuhl setzen, steigt er in den Taycan. Er drückt die Power-Taste. Sie ist wie die klassischen Zündschlösser links vom Lenkrad platziert – so wie bei jedem Porsche. Erkennungsmerkmal. Markenidentität. Kern fährt los.

„Vollgas, absolute Konzentration, das Drehmoment presst mich in den Sitz, sofort folgt einer meiner Lieblingsabschnitte: Hatzenbach, eine knifflige Kurvenkombination, rechts, links, rechts, links. Die Reifen sind perfekt, ich bleibe im Flow. Hocheichen nach drei Kilometern, dann die Quiddelbacher Höhe. Die Fahrdynamik des Taycan ist überwältigend.“

Beschleunigung – 1,2 g aus dem Stand

Seine Dynamik verdankt der Taycan vor allem dem an der Hinterachse verbauten Zwei-Gang-Getriebe. Es sorgt für ein hohes Raddrehmoment. Übersetzt auf die Straße heißt das: Supersportwagen-Niveau. Aus dem Stand katapultiert sich der Taycan mit bis zu 1,2-facher Erdbeschleunigung vorwärts, sprintet in weniger als drei Sekunden auf 100 km/h. Der Antrieb arbeitet fast verzögerungsfrei, das Credo des Teams um Weckbach lautet: 0 Prozent Verlust, 100 Prozent dynamische Effizienz. Nur so entsteht Höchstleistung – in der Entwicklung und am Steuer.

„Der Flugplatz, die schnelle Rechtskurve, 160 km/h, 170 km/h, 180 km/h, draufbleiben, den maximalen Schwung mitnehmen Richtung Schwedenkreuz. Es folgt Aremberg. Hier spüre ich das Gewicht des Fahrzeugs zum ersten Mal. Es geht bergab, der Asphalt ist neu, der Grip relativ niedrig. Cool bleiben. Nicht so viel denken. Du kennst das alles hier. Tausendmal gefahren. Etwa sechs Kilometer geschafft, knapp 15 kommen noch. Das Bergabstück der Fuchsröhre, ein Schlauch, rechts und links verwischen Bäume und kleinere Pflanzen zu einem grün-weißen Lichtband. Die leichte Linkskurve in der Senke fahre ich ein wenig links von der Mitte aus an. Das Auto ist in der Kompression extrem stabil, ich fahre knapp 260 km/h, Volllast, vergesse, dass ich in einem viertürigen Coupé sitze, habe nur noch das Wort Sportwagen in meinem Kopf.“

„Der Taycan ließ mich an einem Limit fahren, das ich mir vorher nicht vorstellen konnte.“

Fahrgefühl – mit vierter Dimension

Die Beschleunigung elektrisch angetriebener Sportwagen ist äußerst beeindruckend. Das liegt an ihrem sofort verfügbaren, sehr großen Radmoment. Beim Taycan sorgen die beiden E-Maschinen und die kurze Übersetzung des ersten Gangs des Zweigang-Getriebes für ein Radmoment von mehr als 13.000 Nm im Overboost-Modus. Außerdem kommen im Taycan zwei permanent erregte Synchronmaschinen (PSM) zum Einsatz, die jenen im Le-Mans-Siegerfahrzeug 919 Hybrid ähneln. Sie sind die Turbos unter den E-Aggregaten. Dank ihnen leistet der Taycan Turbo S im Overboost-Modus kurzzeitig mehr als 761 PS. Kern weiß das.

„Weiter, Adenauer Forst, ein langsamerer Streckenabschnitt. Dann Richtung Kallenhard, eine 471 Meter hohe Erhebung, etwa acht Kilometer sind geschafft. Ich bleibe eng am Curb, das Auto hat extrem viel Grip auf der Innenseite, es folgt die langsame Rechtskurve. Mit dem Porsche 911 GT2 RS MR wäre ich jetzt im zweiten Gang. Der Taycan ist sehr agil in Wechselpassagen und ruhig in Hochgeschwindigkeitsabschnitten. Bei niedrigem Tempo lenkt die Hinterachse konträr zur Vorderachse, bei hohem Tempo steuert sie mit und stabilisiert. Die Porsche-Ingenieure sagen, dass man mit der Hinterachs-lenkung den Radstand Virtuell verlängert. Sie gibt mir ein gutes Gefühl. Die Dreifachrechtskurve zwischen Kallenhard und Wehrseifen. Der Taycan liegt satt auf dem Asphalt.“

Für das besondere Sportwagengefühl hat Porsche dem Fahrwerk des Taycan die vierte Dimension Zeit eingebaut. Im Fachjargon heißt das zentral vernetzte Steuersystem zur integrierten Fahrwerkregelung Porsche 4D-Chassis-Control. Es analysiert die drei Dimensionen Längs-, Quer- und Vertikalbeschleunigung und stellt diese Informationen in Echtzeit den Fahrwerksystemen zur Verfügung. Lenkt der Fahrer beispielsweise vor einer Kurve dynamisch ein, reagieren Hinterachslenkung, Servolenkung Plus und Porsche Dynamic Chassis Control (PDCC) darauf und versteifen die elektromechanischen Stabilisatoren in nur 200 Millisekunden. So werden Wankbewegungen der Karosserie vermieden.

„Breidscheid. Hier fühlt es sich immer wie Halbzeit an, Talsohle, links liegt Adenau. Weiter geht’s Richtung Laudakurve. Niki Lauda verunglückte hier. Danach das Bergwerk, man kommt den Buckel kaum auf zwei Beinen hoch, so steil ist er. Toll, wie kräftig der serienreife Taycan beschleunigt. Es folgt eine Rechtskurve. nicht untersteuern. Schnell Anschließend das Drehmoment voll abrufen, hoch zum Kesselchen. Die Mutkurve liegt an, ich setze unsere Strategie sicher um. Ich freue mich. Keine Zeit verloren.“

Lars Kern

Lars Kern

Seit knapp acht Jahren ist der 31-jährige Test- und Entwicklungsfahrer bei Porsche.

Rekuperation – sportliches Segeln

Die Nordschleife des Nürburgrings ist der Gradmesser für das perfekte Zusammenspiel der Antriebskomponenten mit allen anderen relevanten Bereichen wie Fahrwerk oder Aerodynamik. Beim Zurücknehmen des Fahrpedals segelt der Taycan nahezu verzögerungsfrei, das Fahrgefühl ist trotzdem sportlich. Die Rekuperation von Elektrofahrzeugen lässt sich auf verschiedene Wege realisieren. Porsche entschied sich im Rahmen des Porsche Recuperation Managements (PRM) gegen die häufig bei Elektrofahrzeugen anzutreffende Ein-Pedal-Rekuperationsstrategie, bei der das Auto beim Lösen des Fahrpedals stark bremst. Per Knopfdruck kann der Fahrer die Rekuperationsstufe einstellen und zwischen „An“, „Aus“ und „Auto“ wählen. Wer mag, kann sogar bei fast leerer Batterie Vollgas fahren, bis kurz vor Erreichen der Notlaufreserve.

„Richtung Klostertal kann ich fast voll auf dem Fahrpedal bleiben, gleich muss ich dem Auto blind vertrauen, ab ins Karussell. am Ausgang der Steilkurve werde Ich regelrecht auf die Gerade Richtung Hohe Acht katapultiert, benannt nach dem gleichnamigen Berg, mit 746 Metern der höchste Punkt in der Eifel. Wieder eine sehr technische Passage. Für mich beginnt jetzt der schönste Teil der Strecke: Wippermann, Brünnchen. Hier geht es mehr denn je darum, das Fahrzeug perfekt zu platzieren.“

Räder und Karosserie des Taycan sind so windschnittig optimiert, dass er mit einem cw-Wert von 0,22 der aerodynamischste Porsche aller aktuellen Modelle ist. Jedes Bauteil wurde von Beginn an im Windkanal getestet und anschließend optimiert.

„Endspurt, Stefan-Bellof-S. Die schnelle Rechtskurve fahre ich in einem weiten Bogen, ziehe bis an die inneren Curbs rein, im Ausgang lasse ich mich an die Rattersteine heraustragen. Links bleiben, dann Schwalbenschwanz, Richtung Döttinger Höhe beschleunige ich wieder auf Höchstgeschwindigkeit, 260 km/h. Abschnitt Tiergarten: lange stehen lassen, volle Beschleunigung, das Auto liegt perfekt. Antoniusbuche, Tiergarten. Ich bremse runter auf 80 km/h, da vorne ist das Ziel. Geschafft! Eine Runde am Limit, die ich mir vorher nicht hätte vorstellen können. Wird Zeit, dass der Taycan auf den Markt kommt. Mehr geht nicht.“

SideKICK: Nardò

Auf dem seit 2012 von der Porsche Engineering Group betriebenen 12,6 Kilometer langen Hochgeschwindigkeits-Rundkurs und der Dynamikfläche des Nardò Technical Center im italienischen Apulien erprobt Porsche seit Jahren aktuelle Sportwagenmodelle. Der Taycan wurde dort speziell auf seine Langstreckentauglichkeit getestet: Während einer 24-stündigen Dauerlauffahrt – nur unterbrochen durch Ladestopps – legte der Taycan 3.425 Kilometer zurück.

Lars Kern
Lars Kern
Christina Rahmes
Christina Rahmes